Wattenrat

Ost-Friesland

- unabhängiger Naturschutz für die Küste -

Startseite > Aktuelles > Artikel Nr. 170 (April 2006)

"Blauer Brief" aus Brüssel

EU-Vogelschutzrichtlinie, unzureichende Gebietsmeldung durch Deutschland, Schlusslicht Niedersachsen, viele Mängel in Ostfriesland

Zu einem Pressegespräch hatte der Wattenrat am 27. April 2006 eingeladen.

Wir stellen vor die "Mit Gründen versehene Stellungnahme, Vertragsverletzungsverfahren 2001/5001, Kommission der Europäischen Gemeinschaften" vom 10. April 2006 PDF-Datei (ca. 1,23 MB) und verwiesen in diesem Zuammenhang auf die EU-Beschwerden des Wattenrates Ost-Friesland hinsichtlich der monierten Gebiete

Ein Thema mit durchaus regionaler Relevanz, wie wir meinten...

Die Resonanz war "überwältigend": Abgesagt hatte der "Anzeiger für Harlingerland" aus personellen Gründen, war aber von einer Redakteurin des "Ostfriesischen Kuriers" aus Norden mit vertreten. Abgesagt hatte auch die "Ostfriesen Zeitung": An dem Tag hatte der Blödel-Barde Otto Waalkes zu einer PR-Veranstaltung nach Emden eingeladen...

Gar nicht reagiert hatte die "Emder Zeitung", in deren Berichtsgebiet der "Wybelsumer Polder" liegt, dort ist die Welt ja auch noch in Ordnung, zumindest auf dem Zeitungspapier.

Ungewohnt detailreich und präzise war dann die Berichterstattung im "Ostfriesischen Kurier", siehe unten.

GoogleEarth-Bild vom Wybelsumer Polder

© GoogleEarth - Faktisches Vogelschutzgebiet Wybelsumer Polder an der Ems bei Emden, inzwischen mit Windkraftanalgen überbaut: Die EU-Kommission mahnt neue Vogeldaten an

Unser "Waschzettel" für die Presse:

Faktisches Vogelschutzgebiet Wybelsumer Polder bei Emden:

Bereits 1997 hatten Mitglieder des heutigen Wattenrates eine umfangreiche Beschwerde wegen des Verstoßes der EU-Vogelschutzrichtlinie gegen Planung und Bau von nunmehr ca. 40 WKA im Wybelsumer Polder eingelegt. 2002 erreichte unsere Beschwerde ihren Höhepunkt, als die damalige EU-Kommisarin Wallström den ehem. Außenminister Fischer auf die Unvereinbarkeit der Planungen mit den Natura-2000-Richtlinien hinwies Die Kommission drohte Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an.

Im "ergänzenden Aufforderungsschreiben" vom 02. April 2003 wurde die Ausweisung des Gebietes erneut von der Kommission angemahnt. Am 30. März 2004, nach sieben Jahren, wurde das Verfahren völlig überraschend eingestellt, der Windpark war bereits in Betrieb. Es wurden also trotz des laufenden Beschwerdeverfahrens Fakten geschaffen. Die Kommission begründete die neue Auffassung, dass das Gebiet nicht mehr als "Besonderes Schutzgebiet" nach Vogelschutzrichtlinie auszuweisen war im Wesentlichen damit, dass das Gebiet für den Säbelschnäbler und das Blaukehlchen nicht die dargestellte Wertigkeit habe. Damit wurde das Gebiet unzulässiger Weise nach vorbereitender "Information" des Landes Niedersachsen auf nur diese zwei Arten reduziert. Durch ein umgehend nachgereichtes Fachgutachten konnte der Wattenrat nachweisen, dass die von Niedersachsen vorgelegte vogelkundliche Bewertung fehlerhaft war und konnte nachweisen, dass nicht nur Säbelschnäbler und Blaukehlchen, sondern auch andere Arten wie Nonnengans, Goldregenpfeifer, Löffler, Kampfläufer (insgesamt 13 weitere Rastvogelarten) die Kriterien einer Meldung als "Besonderes Schutzgebiet" erfüllen.

Dennoch akzeptierte die EU-Kommission die Argumente des Wattenrates nicht und stellte nur zwei Wochen nach Eingang unserer Stellungnahme am 30. März 2004 das Verfahren Wybelsumer Polder erneut ein. Jetzt, mit dem aktuellen Schreiben vom 10. April 2006, ändert die Kommission ihre Auffassung und bewertet die bisherige Meldepraxis des Landes als "nicht ausreichend".

Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer:

1999 wurde die Nationalparkverordnung in ein Nationalparkgesetz umgewandelt, das Gesetz wurde bereits 2001 zu Gunsten der Fremdenverkehrsindustrie novelliert, d.h. fast 90 Gebiete wurden entweder aus dem Geltungsbereich des Nationalparks entfernt oder in der Zonierung herabgestuft. Der Nationalpark unterliegt mit allen Zonen der EU-Vogelschutzrichtlinie und mit den Ruhe- und Zwischenzonen, also ohne die Erholungszonen, der FFH-Richtlinie.

Niedersachsen kann nicht im Alleingang die Grenzen der VOM BUND gemeldeten Gebiete verkleinern oder verschlechtern. 2002 legt der Wattenrat eine "gewichtige" Beschwerde (3 Bände, mehr als 4 kg Gewicht) bei der Kommission gegen die Gebietsverschlechterung ein.

Auch hier: Am 18. Januar 2005 teilte die Kommission dem Wattenrat mit, dass sie auf Grund unserer Beschwerde keine Verletzung des Gemeinschaftsrechts ("FFH-Richtline oder sonstiges Gemeinschaftsrecht") erkenne. Gegen diese offensichtliche Fehleinschätzung wandte sich der Wattenrat umgehend in einem Schreiben an die Kommission. Am 31. März 2005 allerdings teilte die Kommission dem Wattenrat mit, dass unsere Beschwerde in ein bereits laufendes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingearbeitet, also weiter verfolgt werde. Das aktuelle Mahnschreiben vom 10. April 2006 geht auf Seite 14 darauf ein, dass im Zuge der Änderung der Nationalparkgrenzen über die möglicherweise "unzulässige Löschung" von Teilbereichen von Besonderen Schutzgebieten im Nationalpark gesondert entschieden werde.

Faktisches Vogelschutzgebiet Norden-Esens (Landkreise Aurich und Wittmund)

In diesem Bereich, der an den Nationalpark Nieders. Wattenmeer direkt angrenzt, wurden bereits zahlreiche Fakten geschaffen oder sollen geschaffen werden: Umgehungstrasse Neßmersiel, zahlreiche Wind"parks" auch in unmittelbarer Nähe zum Nationalpark Nieders. Wattemeer, Planung der Erweiterung der Statoil-Anlage in Cankebeer.

Besonders dreist hat sich die Samtgemeinde Esens verhalten und offensichtlich auch Einfluss auf die Landesregierung genommen: In der Samtgemeinde laufen mit Hochdruck Planungen für eine Umgehungsstraße in Bensersiel und Neuharlingersiel, für einen riesigen Komfortcampinplatz südlich von Bensersiel und für zwei Golfplätze in Ostbense. Rechzeitig hat der Wattenrat den Samtgemeindebürgermeister Buß auf die Unvereinbarkeit der Planungen mit einem "Faktischen Vogelschutzgebiet" hingewiesen. Der Samtgemeinderat in seiner Weisheit hat alle naturschutzfaschlichen Stellungnahmen zu diesen Planungen "weggewogen", d.h. zur Kenntnis genommen; die Darstellungen würden "nicht geteilt", hieß es knapp, ignorant und falsch. Der Wattenrat legte am Beispiel der Golfplatzplanungen am 18. Januar 2004 Beschwerde bei der EU-Kommission wegen Nichtbeachtung des Faktischen Vogelschutzgebietes bei den Planungen ein.

Im August kam dann die bemerkenswerte Antwort aus Brüssel: Man gehe NICHT davon aus, dass das Gebiet Norden-Esens als "Besonderes Schutzgebiet" (= SP, Special Protected Area) auszuweisen sei. "Die deutschen Behörden haben uns anlässlich der Paketsitzung [am 05. Juli 2005 in Berlin] mitgeteilt, dass das Gebiet nicht als SPA ausgewiesen worden sei, da die NACH DEM NIEDERSÄCHSISCHEN AUSWAHLVERFAHREN für die in Frage kommenden Brut- und Gastvogelarten zu Grunde zu legenden Schwellenwerte beziehungsweise Stetigkeiten nicht erreicht worden seien."

Das heiß im Klartext: Wiederum hat Niedersachsen mit Hilfe seiner beamteten Vogeldatenverwalter der Kommission nur zwei Arten angedient, um die es angeblich nur ging: Diesmal die Wiesenweihe und mal wieder das Blaukehlchen, und die hätten anderswo in bereits ausgewiesenen SPAs genügend Platz. Damit war das "Faktische Vogelschutzgebiet" keines mehr und Esens konnte weitermachen; aus einem geplanten Golfplatz wurde nun gleich zwei, mit dem Segen der Kommission, die die Märchen aus Niedersachsen auch (zunächst) brav glaubte.

Der Wattenrat wäre nicht der Wattenrat, wenn er nicht sofort nachlegen würde. Wir haben der Kommission unmissverständlich klar gemacht, dass die fachliche Darstellung des Gebietes Norden-Esens mit der Reduzierung auf nur zwei Vogelarten zwar karrierefördernd für einzelne Staatsdiener in Niedersachsen sein kann, dies aber mit der Wirklichkeit nichts zu tun habe. Wir regten an, diese Entscheidung umgehend zu revidieren und legten der Kommission dazu ein umfangreiches vogelkundliches Fachgutachten eines Planungsbüros vor. Das Gutachten machte die tatsächliche Wertigkeit nicht nur für die genannten, sondern auch andere Arten wie Nonnengans, Graugans oder bestimmte Watvogelarten deutlich. Eigentlich eine Binsenwahrheit, die jeder, der mit offenen Augen durch die Landschaft geht, sehen und nachvollziehen kann.

Zitat aus dem Gutachten: "Lediglich auf die zwei Arten [es folgen die wiss. Namen] einzugehen, lenkt vom Stellenwert des Gebietes ab und missachtet eine der wesentlichen Intentionen des europäischen Schutzgebietsnetzes ´Natura 2000´, die Biodiversität in Europa zu bewahren."

In dem aktuellen Schreiben der Kommission vom 10. April 2006 taucht das Gebiet Norden-Esens wieder auf , Beurteilung der Kommission "Meldung nicht ausreichend. Die unmittelbar binnendeichs des SPA `Niedersächsisches Wattenmeer´ gelegenen Hochwasserrastflächen sind unter anderem im funktionalen Zusammenhang mit den Vorlandflächen des Wattenmeeres wichtig."

Zusammenfassung und Bewertung

Die Europäische Vogelschutzrichtlinie als Teilrichtlinie des Regelwerkes "Natura 2000" gilt für alle Mitgliedsstaaten seit 1979 (neunzehnhundertneunundsiebzig), also seit 27 Jahren! Nach 27 Jahren hat es Niedersachsen mit wechselnden Landesregierungen nicht geschafft, die Richtlinie angemessen umzusetzen, Niedersachsen ist ein Schlusslicht der Gebietsmeldung! Das Land Niedersachsen beschäftigt offenbar seit Jahren einen ganzen Stab, um die EU-Kommission mit geschönten Daten hinter das Licht zu führen und damit die notwendigen und fachlich ausreichenden Schutzgebietsmeldungen nach Brüssel zu umgehen. Es kann eigentlich nicht Aufgabe einer ausschließlich ehrenamtlich arbeitenden Naturschutzgruppe sein, ständig die unglaublich ignoranten und rechtsfehlerhaften Beschlüsse von Ratsgremien oder die völlig verfehlte und in offensichtlich irreführender Absicht getätigten Dateninterpretationen des Landes Niedersachsen gegenüber der EU-Kommission zu begleiten. Von 14 anerkannten Naturschutzverbänden in Niedersachsen kam Unterstützung nur vom kleinen Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) für den Wattenrat!

Auf der anderen Seite forderten das Land Niedersachsen, die Landkreise und Kommunen Milliardenbeträge Fördergelder aus EU-Töpfen an, halten aber die Missachtung und Umgehung von rechtsverbindlichen Natura-2000-Richtlinien für weitgehend selbstverständlich. Hier ist eine Mangel der Rechtsstaatlichkeit festzustellen, der auch auf eindeutiger Datenmanipulation zum Nutzen von Planungen oder Investoren im Besonderen Schutzgebieten beruht. Die ständige Missachtung der Natura-2000-Richtlinien durch staatliche Gremien ist ein Skandal, der bisher kaum in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen ist!

Das Verhalten der EU-Kommission ist oft ebenfalls nicht nachzuvollziehen, die Argumentation von staatlichen Stellen genießt von vornherein größeren Stellenwert und die größere Glaubwürdigkeit. Die Personalausstattung der deutschen Dienststellen der Generaldirektion in Brüssel ist unzureichend, die Personalfluktuation hoch. Die Entscheidungen werden nur vom Schreibtisch und ohne Nachprüfung in der Fläche getroffen. Das nutzen die nationalstaatlichen Stellen aus, wenn es um die Schönung von Daten geht. Dabei kann durchaus dann in den Gebieten geplant und gebaut werden, wenn die Gebiete zunächst ordentlich gemeldet und Vorhaben mit einer sachgerechten Umweltverträglichkeit geprüft und Auflagen beachtet werden. In dem vorliegenden Falle des erneuten Schreibens der Kommission vom 10. April 2006 wird aber deutlich, dass Niedersachsen überzogen hat und die Datenmanipulationen zumindest aufgefallen sind. Das wiederum lässt hoffen, macht uns aber nicht euphorisch. Nicht nur vor Gericht, auch vor der EU-Kommission ist man in Gottes Hand.

Auch wenn die genannten Gebiete nun als "Besondere Schutzgebiete" gemeldet werden solten: Der Windpark Wybelsumer Polder ist fertiggestellt, im Nationalpark wurden Fakten geschaffen, und in Esens tut man so, als ob es Natura-2000 nicht gäbe. Nur mit deutlichen Strafandrohungen bei Nichterfüllung der Richtlinien seitens der EU, sprich hohen Geldstrafen, ließe sich noch etwas ändern, aber die bezahlt wieder der Steuerzahler. Diese Sprache wird jedoch verstanden in einer Gesellschaft, "die den Preis von allem, aber den Wert von nichts kennt" (sagte einmal Horst Stern),
und sagt auch: Manfred Knake, Koordinator des Wattenrates Ost-Friesland

Wir zitieren aus dem Ostfriesischer Kurier, Norden, 28. April 2006, S. 1

Wieder blauer Brief aus Brüssel

Bundesrepublik hat gegen Vogelschutzrichtlinie verstoßen - Auch ostfriesische Gebiete betroffen

Ostfriesland/ert - Bis Anfang Juni hat die Bundesregierung Zeit, um auf eine, mit Gründen versehene Stellungnahme" der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu antworten, die Deutschland eine unzureichende Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie vorwirft. "Das ist der letzte Prellbock, der aufgestellt wird", kommentierte Manfred Knake vom Wattenrat gestern. Wenn die Bundesregierung der Aufforderung nicht nachkommt und die beanstandeten Gebiete wie gefordert nachbessert, droht eine empfindliche Geldstrafe von bis zu 750000 Euro täglich. Besonders tadelt die Kommission die Genehmigungspraxis von Niedersachsen. So seien Gebiete mit IBA-Status ("Important Bird Areas", zu Deutsch "wichtige Vogelgelschutzgbiete" nach wie vor nicht ausreichend gemeldet worden. Dazu gehören das Gebiet Krummhörn-Westermarsch einschließlich Wybelsumer Polder, in dem der größte Windpark Europas errichtet wurde, das Vogelschutzgebiet Norden-Esens, das Aper lief, Gandersum, der Jadebusen binnendeichs und die Nordsee vor den Ostfriesischen Inseln.

Mitglieder des heutigen Wattenrats hatten bereits 1997 eine umfangreiche Beschwerde gegen Planung und Bau von Windenergie-Anlagen im Wybelsumer Polder eingelegt. Daraufhin mahnte die Kommission die Ausweisung des Gebietes 2003 erneut in einem "ergänzenden Aufforderungsschreiben" an.

Am 30. März 2004 wurde das Verfahren jedoch völlig überraschend eingestellt. Deshalb nahm der Wattenrat mit Erstaunen zur Kenntnis, dass die Kommission die Meldung jetzt für "nicht ausreichend" befand. Auch die Verstöße gegen Vogelschutzrichtlinie und Nationalparkverordnung im Bereich Norden-Esens und der Ostfriesischen Inseln hatte der Wattenrat umfassend dokumentiert
(Seite 7).

Ostfriesischer Kurier, Norden, 28. April 2006, S.7

"Niedersachsen hat Daten manipuliert"
Kommission aus Brüssel folgt Kritik des Wattenrats - Windparks und Golfplätze in Vogelschutzgebieten

In Schutzgebieten werden Windparks, Straßen und Golfplätze gebaut.

Dornumersiel/ert - Der Wattenrat geht davon aus, dass die geplante Gas-Separationsanlage nicht neben der Anlandungsstation in Nesse gebaut wird. Dieser Bereich gehört nämlich zu dem Vogelschutzgebiet Norden-Esens, dessen Meldung die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihrer "mit Gründen versehenen Stellungnahme" vom 10. April 2006 für "nicht ausreichend" befunden hat. Obwohl die Europäische Vogelschutzrichtlinie am 2. April ihren 27. Geburtstag feiern konnte, ist sie in Deutschland immer noch nicht zur Zufriedenheit der Kommisson umgesetzt worden. Bislang war ein Vogelschutzgebiet oder eine "Important Bird Area" (IBA=Wichtiges Gebiet für Vögel) kein Hinderungsgrund für den Bau von Windparks, Straßen und Golfplätzen, stellte der Wattenrat fest.

"Wir kennen die Genehmigungspraxis, durch die der Industrialisierung Tür und Tor geöffnet wird, und das in einem faktischen Vogelschutzgebiet", sagt Manfred Knake. Dabei bleibe, wie im Bereich Norden-Esens, auch der Tourismus auf der Strecke. Beider Meldung von Schutzgebieten verstieß insbesondere das Land Niedersachsen immer wieder gegen die Vogelschutzrichtlinie, indem es Daten manipulierte. So wurde zum Beispiel die Vogelwelt im Bereich des Wybelsumer Polders auf zwei Arten, nämlich den Säbelschnabler und das Blaukehlchen, reduziert. Aufgrund dieser Informationen gelangte die Kommission 2004 zu der Auffassung, dass der Wybelsumer Polder nicht mehr als "Besonderes Schutzgebiet" (BSG) ausgewiesen werden müsse. Daher stellte sie nach sieben Jahren das Verfahren ein, das durch eine Beschwerde von Mitgliedern des heutigen Wattenrats gegen den Bau von rund 40 Windrädern im Schutzgebiet eingeleitet worden war.

Der Wattenrat gab jedoch nicht auf, sondern bewies mit einem Fachgutachten des anerkannten Experten Dr. Matthias Schreiber, dass die von Niedersachsen vorgelegte vogelkundliche Bewertung fehlerhaft war. Neben Säbelschnabler und Blaukehlchen erfüllen 13 weitere Arten wie Nonnengans, Goldregenpfeifer, Löffler und Kampfläufer die Kriterien einer Meldung als "Besonderes Schutzgebiet". Damals blieb die Kommission bei ihrer Haltung, doch jetzt fordert sie eine ausreichende Meldung des Gebiets.

Der heutige Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, Peter Südbeck, war Leiter der Staatlichen Vogelschutzwarte, als das Land die reduzierten Daten für den Wybelsumer Windpark nach Brüssel meldete und die Daten im Gebiet der geplanten Offshore-WindparksBorkum-Riff und Nordergründe durch Weglassen und Verschieben der Grenzen im Sinne der Antragsteller "interpretierte". Südbeck war auch bei der Sitzung am 5. Juli 2005 in Berlin dabei, in der die deutschen Behörden eine Ausweisung des Gebiets Norden-Esens als "Besonderes Schutzgebiet" ablehnten, "da die nach dem niedersächsischen Auswahlverfahren für die in Frage kommenden Brut- und Gastvogelarten zu Grunde zu legenden Schwellenwerte beziehungsweise Stetigkeiten nicht erreicht worden seien." Prompt plante die Samtgemeinde Esens zwei Golfplätze im fraglichen Gebiet. Auch in diesem Fall klärte der Wattenrat die Kommission durch ein Fachgutachten auf.

Kasten:
RICHTLINIE Die Europäische Kommission wirft Deutschland eine unzureichende Umsetzung von Artikel 4 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten vor. Darin heißt es: "Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel... in den ... Schutzgebieten zu vermeiden." Die entsprechenden Gebiete sollten der Kommission "binnen 24 Monaten nach Annahme der Vogelschutzrichtlinie mitgeteilt werden", das heißt vor dem 2. April 1981.

Ostfriesischer Kurier, Norden, 02. Mai 2006

Gesonderte Prüfung des Nationalparks

Europäische Kommission beschäftigt sich mit Rücknahme von Schutzgebieten
Über Änderung der Grenzen wird gesondert entschieden.

Ostfriesland/ert - Das Land Niedersachsen und die Kommunen gingen bislang recht sorglos mit den Besonderen Schutzgebieten (BSG) um, die laut Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Kommission gemeldet werden müssen. "Für die Kommunen war die Europäische Kommission weiter weg als der Mond", sagte Wattenrat-Mitglied Manfred Knake in Dornumersiel bei der Vorstellung der "mit Gründen versehenen Stellungnahme" an die Bundesrepublik Deutschland" fest.

"Nach 26 Jahren hat es Niedersachsen mit wechselnden Landesregierungen nicht geschafft, die Richtlinie angemessen umzusetzen - Niedersachsen ist ein Schlusslicht der Gebietsmeldung", kritisiert der Wattenrat. "Auf der anderen Seite forderten das Land Niedersachsen, die Landkreise und Kommunen Milliardenbeträge an Fördergeldern aus EU-Töpfen an, halten aber die Missachtung und Umgehung von rechtsverbindlichen Natura-2000-Richtlinien für weitgehend selbstverständlich." Die Kumpanei von Landkreisen und Kommunen, die darin ein Kavaliersdelikt sehen, räche sich jetzt.

Auch kritisiert der Wattenrat, dass die Landesbehörden das Nationalparkgesetz, zu dem die Nationalparkverordnung 1999 umgewandelt worden war, bereits 2001 zu Gunsten der Fremdenverkehrsindustrie novellierten. Dabei wurden fast 90 Gebiete aus dem Geltungsbereich des Nationalparks entfernt oder in der Zonierung herabgestuft.

Golf in den Dünen

Dazu gehört eine Fläche in den Langeooger Dünen, die von ihrer eigentümlichen Vegetation befreit und in einen Golfplatz umgewandelt wurde. Auf Baltrum wurde eine Landebahn für Flugzeuge in den Salzwiesen betoniert. Auf eine vorherige Bestandsaufnahme von Flora und Fauna hatte man verzichtet - das hätte nur Probleme gegeben. Mit Mitteln der Europäischen Union (EU) wurden in einem Bensersieler BSG Müllcontainer und Stellplätze eingerichtet.

"Hier ist ein Mangel an Rechtsstaatlichkeit festzustellen, der auch auf eindeutiger Datenmanipulation zum Nutzen von Planungen oder Investoren in Besonderen Schutzgebieten beruht", empört sich der Wattenrat. "Niedersachsen kann nicht im Alleingang die Grenzen der vom Bund gemeldeten Gebiete verkleinern oder verschlechtern."

2002 hielten die Mitglieder des Wattenrats die ihnen bekannten Fälle von Gebietsverschlechterung im Bereich des Nationalparks Wattenmeer detailliert in einer drei Bände starken "gewichtigen Beschwerde" an die Europäische Kommission fest, die über vier Kilogramm wog.

Auch darauf geht die Europäische Kommission in ihrem Schreiben vom 10. April ein: "Die (teilweisen) Rücknahmen von Schutzgebieten im Rahmen der niedersächsischen Meldekulisse werden ... gesondert geprüft und gegebenenfalls verfolgt", heißt es darin. Auch solle die Frage endgültig geklärt werden, ob im Zuge der Änderung der Nationalparkgrenzen "unzulässige Löschungen" von Teilbereichen des Besonderen Schutzgebietes (auf Englisch SPA = Special Protected Area) "Niedersächsisches Wattenmeer" vorgenommen wurden. "Auch über diese Frage wird gesondert entschieden."

Doch von Euphorie ist der Wattenrat weit entfernt. "Auch wenn die genannten Gebiete nun als Besondere Schutzgebiete gemeldet werden sollten: Der Windpark Wybelsumer Polder ist fertiggestellt, im Nationalpark wurden Fakten geschaffen, und in Esens tut man so, als ob es Natura-2000 nicht gäbe." Kurz: Die Natur blieb auf der Strecke. Falls Deutschland zu einer empfindlichen Strafe verurteilt wird, werden zudem wieder einmal nicht die Schuldigen zur Kasse gebeten, sondern der Steuerzahler.

 
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